Pflegepolitik aus der Praxis, für die Praxis!
Als Gesundheits- und Krankenpfleger muss ich nicht lange über die Ursachen nachdenken, warum meine Kolleg*innen es im Schnitt nur acht Jahre im Beruf aushalten. Ich weiß auch, was viele dazu bewegt, den Beruf nach der Ausbildung gar nicht erst auszuüben. Mir ist klar, dass es nicht ausschließlich die schlechte Bezahlung ist, die den Pflegenotstand auslöst. Fehlende Anerkennung, bei weitem zu geringe Selbstbestimmung über die eigene Profession, nicht zu erfüllende Ansprüche nach dem Diktat der Wirtschaftlichkeit, die jahrzehntelange Vernachlässigung durch die Politik, die endlosen leeren Versprechungen: das ist die Mischung aus der ein ausgewachsener Notstand entsteht.
Professionelle Pflege ist der ermächtigende Teil jeder Therapie. Sie will Lebensqualität durch größtmögliche Mobilisierung und Selbstständigkeit gewährleisten. Sie bewahrt den gesunden Teil der Erkrankten und Hilfebedürftigen, sie heilt Wunden, sie bringt nach Kräften Kraft zurück. Pfleger*innen arbeiten umfassend mit den Patient*innen und den Angehörigen am größten möglichen Ziel, wenn die Ärzt*innen längst wieder im OP stehen oder sich neuen „Fällen“ zuwenden.
Professionelle Pflege geht weit über das landläufig unterstellte Waschen und Essen anreichen hinaus und ist bei Weitem mehr als die bloße Assistenz der Ärzteschaft.Die Ausbildungen in der professionellen Pflege sind intellektuell, körperlich und psychisch anspruchsvoll. Eigentlich sollte jeder Moment optimal genutzt werden, um die zukünftigen Kolleg*innen auf ihre verantwortungsvollen Aufgaben vorzubereiten. Stattdessen lau fen die Schüler*innen im klinischen Alltag nur mit, weil die Praxisanleitung nicht für sich wichtig genug scheint, sie kommt als Zugabe zum Arbeitsalltag obendrauf.
Obwohl die professionelle Pflege inzwischen auch eigene Studiengänge hervorgebracht hat und die Forschung zum Wohle der Patient*innen sehr aktiv arbeitet, werden die Ausbildungsinhalte des Berufes von fachfremden Personen bestimmt.
Während die Ärzteschaft im Gesundheitswesen mit ihrer Kammer eine starke Vertretung hat und sich mit einer gewichtigen Stimme Gehör verschaffen kann, liegt die Organisationsquote bei der professionellen Pflege im unteren einstelligen Bereich, zersplittert auf über 30 Interessensvertretungen.
Für viele Berufsgruppen ist klar, dass die Leistungsfähigkeit Einzelner ihre Grenzen hat, auf deren Einhaltung strikt geachtet werden muss. Pflegende können sich nicht auf strikte Regeln wie Personaluntergrenzen verlassen und sind damit nicht in der Lage, das zu gewährleisten, was sie in den Beruf gebracht hat: die optimale Versorgung der ihnen anvertrauten Menschen.
In vielen Gewerken schaffen Meisterboni Anreize zur Weiterbildung und mühevoll Erreichtes schlägt sich im monatlichen Entgelt deutlich nieder. Die Fachweiterbildung in der professionellen Pflege lohnt sich eigentlich nur für Idealist*innen: keine Boni, keine deutlichen Gehaltssteigerungen. Professionell Pflegende gehören ohnehin nicht zu den Großverdienern, was wohl daran liegt, dass es sich im überwiegenden Teil um Verdienerinnen handelt: hier offenbaren sich gleich mehrere gesellschaftliche Schieflagen. Es ist ein handfester Skandal, dass männliche Kollegen auch in dieser klassischen Frauendomäne monetär bessergestellt sind.
Das setzt sich fort im gesellschaftliche Ansehen der professionellen Pflege: dies ist gering und liegt in der öffentlichen Wahrnehmung in der Assistenz und in der Dienstleistung. Die Arbeitszeiten im oft starren Dreischichtbetrieb sind familienfeindlich, selbst klinikeigene Kitas orientieren sich selten an den herrschenden Dienstzeiten.
Die Bedarfe in der professionellen Pflege liegen also auf der Hand und sind sicherlich nicht durch die Anwerbung ausländischer Kräfte gelöst, denen zudem oft unüberwindbare Hürden bei der Anerkennung ihrer Qualifikationen in den Weg gestellt werden.
Wenn wir den Pflegenotstand ernsthaft und nachhaltig lösen wollen, müssen wir die Attraktivität dieses wundervollen Berufes auf mehreren Ebenen steigern, der professionellen Pflege endlich die Selbstbestimmung zugestehen, die sie verdient und nicht zuletzt die Arbeitsbedingungen den Menschen anpassen: denen, die vor den Betten stehen und denen, die darin liegen und sich zurecht optimale Versorgung wünschen.
Für nicht weniger trete ich als pflegepolitischer Sprecher der grünen Landtagsfraktion an.