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Gender Care-Gap: die existenzielle Lücke im System

Eine typisch weibliche Erwerbsbiographie

… sieht heute immer noch so oder so ähnlich aus:
Nach der Ausbildung arbeitet Anna bis zur Geburt ihres ersten Kindes in Vollzeit. Die jungen Eltern sind sich schnell einig, dass ihr Kind nicht vor drei Jahren „fremdbetreut“ werden soll.
Annas Mann verdient schon jetzt besser als sie und wenn er sich richtig reinhängt, dann stehen ihm vielleicht einige Beförderungen bevor. Sein Chef ist ein älterer Herr mit konservativem Familienbild und er würde es sicherlich auch nicht so schnell vergessen, wenn er sich ausgerechnet jetzt Elternzeit nähme. Außerdem will Anna ihr Baby stillen und sie freut sich auf die gemeinsame Zeit. Kurz bevor das erste Kind mit drei Jahren in die KiTa kommt, wächst bei beiden Eltern der Wunsch nach einem weiteren Kind und das alte Betreuungsmodell hat sich schließlich gut bewährt. Was sind schon drei weitere Jahre?
Mit einem Kindergartenkind und einem Schulkind will Anna mit 32 wieder in ihren Beruf einsteigen. Mehr als 20 Stunden kann sie wegen der Kinder aber keinesfalls leisten. Außerdem kommen die Schwiegereltern, die gleich nebenan wohnen immer schlechter alleine zurecht. Dank des Ehegattensplittings lohnt es am Ende eines jeden Monats für die Familie ebenso, wenn sie nur geringfügig arbeitet, also 450 Euro steuerfrei „dazuverdient“.

Was sich später für sie lohnt, ist selten Gegenstand der Diskussion in einer funktionierenden Ehe.

Also kümmert sich Anna nach ihrer Elternzeit neben ihrer Arbeit nach wie vor allein um die Kinder, den Haushalt, die Schwiegereltern. Sie übernimmt Verantwortung in den Elternbeiräten und ist mehr als ausgelastet. Ihr Mann steht mitten auf der Karriereleiter und bringt sich allenfalls am Wochenende ein und verschafft ihr Verschnaufpausen. Ihre Rentenbescheide liest sie lieber nicht zu aufmerksam. Die Familie hat sich mit dem guten Gehalt ihres Ehemannes einigen Wohlstand aufgebaut. Die Eltern sehen sich selbst als arbeitsteilig. Was kann schon schief gehen? Ja, klar gibt es den Gender-Care-Gap: sie leistet die ganze unbezahlte Familienarbeit allein, aber es fehlt ihr ja auch nicht an viel, oder?

Einige ihrer Freundinnen arbeiten mehr, manche Mütter sogar in Vollzeit. Wenn die nach Hause kommen, kümmern sie sich auch um Kinder und Haushalt. Auch sie haben wenig bis gar keine „Mithilfe“, so heißt das nämlich heute immer noch häufig, wenn Männer mal das Bad putzen oder nach den Hausaufgaben schauen.

Als die Kinder größer werden, beginnt es aus den unterschiedlichsten Gründen in der Ehe zu kriseln und Anna zieht mit den Kindern aus. Von jetzt an ist sie alleinerziehend in prekärem Arbeitsverhältnis und mit denkbar schlechten Rentenansprüchen. In ihrem Beruf hat sie längst den Anschluss verloren und eigentlich muss sie sich jetzt mit Mitte 40 vollkommen neu erfinden.
Ihr Mann zahlt Unterhalt für die Kinder und zumindest im ersten Jahr Unterhalt für Anna. Nach der Scheidung verliert sie die Ansprüche auf Ehegattenunterhalt, ihre Kinder sind über drei und damit wird eine volle Erwerbstätigkeit vorausgesetzt. Während der Ex-Mann beruflich Karriere gemacht hat, hat Anna unbezahlt und unsichtbar die Familienarbeit und den Haushalt übernommen.

Gender-Care-Gap: den sehen wir allenfalls bei Partnerinnen. Was ist mit Alleinerziehenden?

War der Gender-Care-Gap zu den Ehezeiten noch irgendwie titulierbar und sichtbar, schraubt er sich jetzt in unermessliche Höhen. Anders als früher, kann sie jetzt nicht mal mehr an Elternabenden teilnehmen. Vater und Schwiegereltern als Rückfalloption fallen aus. Durchatmen geht jetzt nur noch an jedem zweiten Wochenende, wenn es gut läuft und ihr Ex-Mann sich an die Umgangsregelung hält. Trotz Versorgungsausgleich gibt es für Anna keinen Grund optimistisch an den Ruhestand zu denken.

Der Gender-Pay-Gap, das Ehegattensplitting, unzureichende Betreuungsangebote für Kinder und pflegebedürftige Angehörige und die auch 2020 noch gesellschaftlich vorausgesetzte Selbstverständlichkeit, dass Familienarbeit unbezahlte Frauenarbeit ist, haben Anna in die Überforderung und in die Armutsfalle gelockt.

Care-Arbeit ist Arbeit:

All die vielen „Selbstverständlichkeiten“, die in einer Familie immer noch die Frauen übernehmen werden nicht wertgeschätzt, weil sie am Ende des Monats keine Gehaltsabrechnung in den Briefkasten legen. Wenn wir Menschen und vor allem Frauen vor solchen Biographien bewahren wollen, müssen wir die

Rahmenbedingungen ändern.

  • Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit: ja, das kann man gesetzlich regeln und kontrollieren.
  • Aufwertung aller weiblich konnotierten Berufe: ihrer gesellschaftlichen Relevanz entsprechend. Politik könnte beispielsweise die Verkammerung der professionellen Pflege vorantreiben.
  • weg mit dem Ehegattensplitting. Steuervorteile für Familien mit Kindern, auch für Alleierziehende
  • mehr qualitativ hochwertige Kinderbetreuung für echte Wahlfreiheit
  • mehr Möglichkeiten zur Verhinderungspflege und Tagespflege für pflegende Angehörige.

Und was können wir als Gesellschaft tun? Neu denken, zum Bespiel.

Familienarbeit sichtbar machen und wertschätzen. Ein Ehevertrag kann auch eine Vergütung für Care-Arbeit enthalten und macht damit niemanden „gierig“, sondern nur vernünftig. Frauen sind nicht dazu bestimmt, ihre Arbeitskraft der Familie oder dem Partner zu schenken, während der seine eigene Arbeitskraft meistbietend verkauft und auch mit Familie entspannt Karriere machen kann. „Fremdbetreuung“ als Stigma für die „Rabenmutter“ sollte endlich ausgedient haben. Niemand sieht sich so vielen und so widersprüchlichen gesellschaftlichen Anforderungen gegenüber wie Mütter.

Wenn wir das Grundgesetz ernst nehmen, nach dem Frauen und Männer gleichberechtigt sind, müssen wir endlich den Schritt ins neue Jahrtausend wagen und Geschlechterrollen ablegen!

Der Gender-Care-Gap ist bis heute ein Problem, das ganz überwiegend Frauen betrifft.
Weltweit leisten Frauen und Mädchen die Arbeit, die nicht bezahlt wird. 12 Milliarden Stunden am Tag.

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